Macht Ihnen Ihre Arbeit eigentlich Spaß? Und freuen Sie sich, täglich Ihre Kollegen zu treffen? Ja? Dann gehören Sie offenbar zu den Glücklichen! Es wird Sie vermutlich überraschen, liebe Leser, dass in diesem Fall eine seltene gesetzliche Ausnahmeregelung für Sie vorgesehen ist: Da Ihnen Ihre Arbeit ja Freude macht, steht Ihnen selbstredend kein Lohn, sondern ein kleines Taschengeld zu. Ja, Sie haben richtig gelesen! Der Spaß an der Arbeit und der tägliche Kontakt mit netten KollegInnen genügt.
Leuchtet Ihnen das etwa nicht ein? Mir auch nicht. Aber von den 300.000 Menschen in Deutschland, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten (WfbM), erwartet man, dass sie damit einverstanden sind, keinen Lohn für ihre Arbeit zu erhalten. Sie erbringen jährlich Leistungen im Wert von acht Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft und werden nicht als Arbeitnehmer/Innen respektiert. Eine gesetzliche Ausnahmeregelung schließt sie vom Mindestlohn aus. Sie erhalten für ihre Arbeit ein Taschengeld und leben von Sozialhilfe.
Dabei konkurrieren Werkstätten mittlerweile auch mit anderen Unternehmen auf dem freien Markt: Oft geht es hier um große Aufträge für multinationale Konzerne! Die Geschäftsführer der WfbM sind heute in der Regel lukrativ arbeitende Betriebswirte. Weil Werkstätten ihre Leistungen sogar noch billiger offerieren als Anbieter aus Billiglohnländern, sind sie für große Unternehmen eine günstige Alternative. Die Mitarbeiter arbeiten oftmals acht Stunden am Tag. Sie verpacken zum Beispiel Kaffee oder montieren Autoteile.
Das System der WfbM ist auf Ausbeutung und Isolation ausgelegt. Die Menschen mit Behinderung bleiben in den Werkstätten über Jahre und Jahrzehnte unter sich – Menschen ohne Behinderung begegnen ihnen in diesem Umfeld ausschließlich als Vorgesetzte oder Betreuer. Ohne jede Wahlmöglichkeit werden sie mehrheitlich in diese Betriebe hineingeführt und verbleiben dort für die Dauer ihres gesamten Arbeitslebens.
Werkstätten leugnen den Anspruch auf Inklusion, indem sie sich als „Schutz- und Schonräume“ für Menschen mit Behinderung ausgeben. Dieses Bild existiert in der Öffentlichkeit zwar immer noch – in Wahrheit steht hinter den Betrieben zumeist knallhartes ökonomisches Interesse und Kalkül.
Hinsichtlich ihrer Öffentlichkeitsarbeit haben die Werkstätten mittlerweile ein paar Begriffe verändert und gebrauchen die Sprache der Inklusion. Doch anstatt nach Lösungsmöglichkeiten für eine Öffnung und nach Übergängen in den regulären Arbeitsmarkt zu suchen, bleiben WfbM exklusive Sonderwelten.
„Den Menschen dort geht es doch gut!“ höre ich immer wieder. Abgesehen davon, dass das oft gar nicht stimmt: Man stelle sich die Reaktion eines Menschen ohne Behinderung vor, dem jede Aussicht auf ein Gehalt verwehrt wird, weil er Spaß an der Arbeit hat!