Später habe ich verstanden, dass ich Gott beherbergt habe

Zuerst konnte ich es kaum glauben: Familie Herwartz, selbst schon zu sechst, nahm vor Jahren eine Frau samt ihrer vier Kinder aus Bosnien bei sich zu Hause auf. Michael Herwartz, von Beruf Bewährungshelfer und damals Hausmann, berichtet mir von einem einzigartigen Jahr voller Überraschungen, Tragik und einer unvergleichlichen Lebendigkeit. Michael erzählt:

Der bosnische Bürgerkrieg war eine humanitäre Katastrophe, schwer auszuhalten. In gewisser Weise vergleichbar mit Moria: Menschliches Leid, von dem wir immer wieder grauenvolle Bilder in den Nachrichten sahen. In Bonn suchte damals eine Friedenskooperative nach Leuten, die bereit waren Flüchtlinge einzuladen und bei sich aufzunehmen.

Meine Frau und ich haben überlegt: Ja, eine Person könnten wir beherbergen. Wir kontaktierten die Initiative und bald kam ein Anruf aus Bonn: Sie hätten da eine Frau mit vier Kindern. Da wir auch eine Später habe ich verstanden, dass ich Gott beherbergt habe weiterlesen

Kontrovers – und zuversichtlich!

Ein kleiner Meilenstein liegt seit gestern hinter uns: Gemeinsam mit der Kreistagspolitikerin Gudrun Baer (CDU), zwei Mitgliedern des Elternbeirates und zwei Vertretern des LVR (nicht im Bild) besichtigten wir gestern die WfbM der Reha-Betriebe Erftland in Bergheim. 

Nachdem der Betrieb jahrelang jede Zusammenarbeit sowohl mit Politik als auch den Elternvertretern abgelehnt hatte, wollen wir jetzt einen Neuanfang wagen: Die Geschäftsführung, erweitert um zwei qualifizierte und gesprächsbereite Damen, lässt uns beide hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. 

Besonders heftig wurde in dem sehr konstruktiven Gespräch mein Blogbeitrag kritisiert, in dem ich ein Gespräch mit einem Elternvertreter wortgetreu wiedergebe: vieles habe sich damals ganz anders verhalten! Nun ja. Besonders interessant war der Standpunkt des LVR: In den Medien werde immer nur negativ berichtet. Nochmal: Nun ja. 

Der Gegenwind hat ordentlich gepustet, doch was soll ich sagen? 

In meinem allerersten Blogpost hatte ich gelobt: „Ich meine es ernst. Ich werde nicht mit Zurückhaltung denken, sprechen oder schreiben. Ich werde dazu beitragen, dass Menschen, die ausgegrenzt werden – und besonders Menschen mit Behinderung – sichtbarer werden“. Das setzt voraus, niemals Augen und Ohren zu verschließen.

Unser gemeinsames Fazit ist ein erfreuliches: Uns allen ist es gelungen, ein sehr schwieriges Gespräch sachlich und klärend zu führen. Es geht uns hier ausschließlich um Wohl und Glück der Beschäftigten. Wir freuen uns über den gelungen Neuanfang und bleiben kritisch.

Flut

Der Totalschaden durch die Flut im Juli an der Paul-Klee-Förderschule in Leichlingen war drängendes Thema auf der heutigen Tagesordung im Schulausschuss des LVR.

Der LVR steht mit damit vor großen Herausforderungen – und es ergeben sich bedeutende Handlungsoptionen und Erfordernisse! Wird der LVR die Gelegenheit nutzen, um endlich die inklusive Entwicklung im Gebiet voranzubringen?

Wir sind gespannt! Nach der heutigen knappen Diskussion bin ich skeptisch. Für mich sieht es nicht danach aus, als ob die Verwaltung auch nur ansatzweise bereit ist, darüber nachzudenken, sich jetzt die Mühe zu machen, die Schülerinnen mit Förderbedarf in Regelschulen zu inkludieren.

Selbst bei dieser unerwarteten Gelegenheit beruft man sich erneut auf das Märchen vom „Elternwahlrecht“, das de facto kein Wahlrecht ist: https://inkluenzerin.com/2020/12/04/das-maerchen-vom-elternwahlrecht/

Die Heuchelei beim diesem Märchen: Es wird verschleiert, dass der nötige Systemwechsel hin zur Inklusion ein nicht verwirklichtes Menschenrecht ist – und dass die Verantwortung für die Durchsetzung dieses Rechts nur von Politikern und Bildungsbehörden übernommen werden kann. Und NICHT von den Eltern.

Eltern werden sich nämlich immer weiter notgedrungen für eine der von unserer konservativen Regierung lobenswert ausgestatteten Förderschulen entscheiden müssen, solange es kein gut funktionierendes inklusives Angebot an Regenschulen gibt. Wie sich das anfühlt, weiß ich aus persönlicher Erfahrung. Mit Freiheit hat das nichts zu tun. 

Dennoch bekräftigten sowohl die Verwaltung des LVR als auch die CDU, dass den Eltern der in Leichlingen beschulten Kinder das Schulwahlrecht zustehe und sie sich für diese Schulform „entschieden“ hätten, so dass sie jetzt nicht dazu „genötigt“ werden könnten, ihre Kinder auf eine andere Schule zu geben.

Jürgen Dusel (CDU) sagte den wunderbaren Satz: „Wer Inklusion will, sucht Wege –  wer sie nicht will, sucht Begründun­gen“. Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen. 

Tödliche Gleichgültigkeit

Menschen mit Behinderung sind – wen wundert’s? – wenn es um die Klimakatastrophe geht wieder einmal nicht Teil der Diskussion. In aller Deutlichkeit: 15% der Weltbevölkerung sind aufgrund ihrer Beeinträchtigung ausgesprochen verletzlich – und ihre besondere Gefährdung ist so gut wie nicht erforscht. In den Sachstands – und Sonderberichten des Weltklimarats (IPCC) werden sie kaum erwähnt. 

Diese Benachteiligung in Wissenschaft und Forschung ist längst eine historische Konstante. Nun hat die Gleichgültigkeit entsetztliche Folgen. 

Gut erforscht immerhin wurden die Folgen des Hurrikans Katharina im Jahr 2005. Die Bilanz für Menschen mit Behinderung damals war verheerend:

Barrierefreie Warnsysteme fehlten weitgehend, so dass viele Betroffene gar nicht informiert wurden. Selbst bei der Evakuierung und Unterbringung war Barrierefreiheit oft Fehlanzeige. Es gab keine behindertengerechten Toiletten, Betten fehlten sowieso. 

Zudem fand die Katastrophe lange kein Ende für die behinderten Menschen, so sie denn überlebt hatten. Beim Zugang zu Essen und Wasser wurde an behinderte Menschen nicht gedacht, bei der notdürftigen gesundheitlichen Versorgung ebenso wenig. 

Schockierend auch, dass im Falle zerstörter Dokumente viele Menschen später keine Assistenz mehr erhielten, Kindern und Auszubildenden sogar der Zugang zum Nachteilsausgleich verwehrt wurde. 

Wenn wir im Alltag schon keine Inklusion hinkriegen – wie schlimm wird es dann erst, wenn die Erde sich weiter erwärmt? 

Bitte weitersagen:

Der LVR fördert den Bau inklusiver Wohnprojekte!

Seit mehr als einem Jahr lebt mein Sohn in einer stationären Wohngruppe einer Einrichtung des LVR, in einem Sondersystem, einer liebevollen, aber doch geschlossenen Welt, abgeschottet vom Leben der Anderen, der Mehrheitsgesellschaft. In diesem Haus arbeiten und wohnen ganz überwiegend wunderbare Menschen und meinem Sohn geht es dort sehr gut. Ich muss mit dem Widerspruch leben, dass wir Nutznießer dieser exklusiven Struktur sind und dennoch diese Sondersysteme, die immer auch Abhängigkeitssysteme sind, für einen großen Fehler halten. 

Auf dem Bild macht er sich gerade auf den Weg nach Hause. Der Abendhimmel spiegelt perfekt meine widerstreitenden Gefühle: Dankbarkeit dafür, dass wir uns nach 23 Jahren voneinander lösen können, dass er umgeben ist von freundlichen und fürsorgenden Menschen – und ich wieder mehr Freiheiten leben darf, Entlastung erfahre. Und Kummer. Über sein Leben in einer Umgebung, in der ihm Menschen ohne Behinderung derzeit in der Regel nur als Betreuer begegnen. Oder als Ärzte, Lehrer, Berater. 

Wir brauchen dringend mehr Wohnformen, bei denen Inklusion nicht nur draufsteht, sondern drinsteckt. 

Muttertag

Ich stelle mir vor, dass unsere Gesellschaft weniger auf möglichst gut bezahlte Erwerbsarbeit fixiert wäre. Und dass die Sorgearbeit demgegenüber wirklich hoch geschätzt würde. Pflegeberufe würden super bezahlt und die viele unbezahlte Sorgearbeit, die in Familien geleistet wird, würde wahrgenommen und honoriert.

Denn darauf basiert unser Zusammenleben ganz wesentlich: Auf dem, was wir Menschen tun, ohne dass uns jemand dafür Geld gibt – unter Freunden, in der Nachbarschaft, in der Familie. Wirtschaftliche Effizienz und Produktion ist nicht alles. Amen.

Die Menschen dort waren in der Tat sich selbst überlassen

Die Werkstätten der Reha-Betriebe Erftland standen 2019 öffentlich in der Kritik: die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauchs und wegen Freiheitsberaubung. Wie denkt ein Vertreter der Angehörigen heute über die Situation der Beschäftigten in diesen Werkstätten? Mein Gespräch mit Ralf  Schnackerz, dessen Bruder 2019 in einer der Werkstätten beschäftigt war:

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Vom Ende des Gemeinwohls

So ziemlich alle wollen aufsteigen und die, die oben sind, wollen da bleiben. Der Begriff Inklusion taucht in diesem Buch nirgends auf – aber der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel hat mit dieser gut lesbaren Analyse unserer fragwürdigen meritokratischen Ethik, die uns letzlich in separate Parallelwelten ohne gemeinsame Diskursräme führt, ein ganz! starkes! Plädoyer für eine inklusive Gesellschaft geschrieben. Und eine wirklich überzeugende Erklärung für den Erfolg Trumps.